Krankheit ist nicht angenehm, darüber zu sprechen jedoch sinnvoll. Aus Unsicherheit über die richtigen Worte das Gespräch zu vermeiden, kann für alle im Team Konflikte provozieren und die Stimmung riskieren. Hier, als Anschubhilfe drei gute Gründe, um sich dem Thema Krankheit am Arbeitsplatz zu öffnen.
40 % der arbeitsfähigen Deutschen gelten als chronisch krank (Quelle). Diese Menschen machen sich früher oder später Gedanken darüber, ob oder wie die Krankheit im Alltag einen angemessenen Platz finden kann.
Aus dem Beratungsalltag mit chronisch erkrankten Menschen und ihren Angehörigen weiß ich, dass neben den Fragen zur Therapie und Lebensqualität, sich die ersten Gedanken und Sorgen um
• die Partnerschaft
• und den Arbeitsplatz drehen.
Ob Partner:innen oder Kolleg:innen, das sind alles Menschen, mit denen Sie den Großteil Ihrer Zeit verbringen. Wenn mit Ihnen etwas nicht stimmt, werden sie häufig die ersten sein, die diese Veränderungen bemerken.
Wenn also
• Ihre Leistung nachlässt
• Sie sich zum Teammeeting oder Kundenterminen verspäten
• wenn Reportings oder Fertigungsarbeiten an Qualität verlieren,
betrifft das nicht nur Sie als erkrankte Person, sondern auch die Kolleg:innen. Sind diese Ihnen wohl gesonnen, werden diese einspringen, zusätzliche Zeit und Kraft investieren. Meist sehr lange, aber nicht für immer. Bevor Frust und Konflikte anfangen, Fuß zu fassen, empfehle ich allen Beteiligten, die Veränderungen anzusprechen. Konflikte um lange Krankheitsphasen oder höhere Arbeitsbelastung können sich sonst auch auf die Arbeit mit anderen Abteilungen oder die verbundenen Kund:innen auswirken.
Zufriedene Mitmenschen wären ja also schon einmal ein sehr gutes Argument, um sich dem Thema Kranksein am Arbeitsplatz zu öffnen.
Hier folgen drei weitere sinnvolle Gründe:
1 Missverständnissen vorbeugen
So schlimm wird es wohl nicht sein? Oh, doch. Ob ein Teammitglied eine Gangstörung hat oder vom Team für betrunken gehalten wird, macht für die Zusammenarbeit, das Teamklima und alle Arbeit an Menschen/Maschinen/Entscheidungsprozessen einen erheblichen Unterschied. Alkoholsucht am Arbeitsplatz oder eine Gangstörung erfordern eben einen andere Handlungsschritte.
Kann der Arbeitgeber zudem seiner Fürsorgepflicht nachkommen? Können Sie sicher Passagiere befördern oder Maschinen bedienen oder Menschen betreuen? Denken Sie hierbei auch an mögliche Haftungsfragen. Möchten Sie steuern, welchen Eindruck Kolleg:innen von Ihnen gewinnen? Oder lassen Sie diese lieber ihre eigenen Vermutungen anstellen?
Daher überlegen Sie gut, ob ein Verschweigen, egal, ob aus Betroffen- oder Teamperspektive, für Sie tolerierbar ist.
2 Sicher und planbar arbeiten können
Sich sicher und wohl am Arbeitsplatz fühlen zu können, ist ein Geschenk. Nicht alle Menschen mit unheilbaren Erkrankungen sprechen offen über den Diagnoseschock oder Schmerzen. Krankheitsschübe können den Alltag und das Arbeiten erschweren. Die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatz und den neuen Hauskredit sowie die zu versorgenden Kinder können viele schlaflose Nächte mit sich bringen. Sind im Team ein paar Eckdaten bekannt, können sich alle auf Ausfallzeiten einstellen sowie Personal und Projekte entsprechend geplant werden.
3 Mehr Kraft und Zeit
Wissen alle Beteiligten um die Bedürfnisse einer erkrankten Person, können Sie dieser nicht nur in einer akuten Notfallsituation helfen (richtig Lagern bei epileptischen Anfall; Unterzucker erkennen oder eine Adrenalinspritze bei allergischem Schock verabreichen). Es können auch besser Krankheitsphasen abgepuffert werden. Die Betreffenden fühlen sich nämlich sicher, sich ein größeres Ruhebedürfnis zu erlauben oder hohes Arbeitsaufkommen schneller anzusprechen.
Eine Erkrankung zu verschweigen kostet Kraft
Verheimlichen von Symptomen oder den daraus entstehenden Bedürfnissen kostet Kraft. Ständiges Verheimlichen von Symptomen, z.B. aus Angst um den Arbeitsplatz, halten zudem den Kortisolspiegel hoch. Daraus können sich auf Dauer neue Einschränkungen, wie Schlafstörungen oder Erschöpfung ergeben. Daran ist dann die Erkrankung, wie Multiple Sklerose, Rheuma oder eine Herzerkrankung gar nicht mehr primär verantwortlich.
Wenn die Angst und der Kraftaufwand für das Verschweigen von Symptomen entfallen, kann diese Energie direkt in die Arbeit fliessen. Betroffene Mitarbeitende und das Team werden den Unterschied sofort merken.
Viele Betroffene meinen, dass dem Umfeld schon nichts auffällt. Veränderungen werden jedoch bemerkt. Sie werden nur selten angesprochen. Oder erst sehr spät. Wenn Sie als Mitarbeitende mit oder ohne Krankheit, frei über Krankheit sprechen können, erreichen Sie also folgendes:
- Die erkrankten Mitarbeitenden, behalten ihre Gesundheit und Leistung im Blick
- das Team weiß, wie es unterstützen, sich aber nicht zu überlasten braucht
- Vorgesetzte, treffen gemeinsam mit dem Team sicher die Projektziele, aber auch einen menschlichen Umgangston.
Niemand kommt in die Zwickmühle, sich für eine Seite entscheiden zu müssen. Bei diesem Konzept gewinnen alle.
Viele scheuen sich davor, den rosa Elefanten im Raum anzusprechen. Der Anfang mag vielleicht ungewohnt, unbequem oder irritierend sein. Machen Sie es trotzdem. Nach 16 Jahren Beratungstätigkeit mit chronisch Erkrankten und ihrem Umfeld bestätige ich Ihnen, dass der Wachstumsschmerz für das Ansprechen eines bislang ungewohnten Themas gut investiert ist. Gut investiert- in eine gemeinsame Teamsprache und ihre Gesundheit.
Wer den vermeintlichen Aufwand noch immer scheut, denen möchte ich vermitteln, dass immer die Möglichkeit besteht, dass Sie als Teammitglieder vielleicht auch mal auf gesunde Arbeitsstrukturen und ein unterstützendes Team angewiesen sind. Dazu müssen Sie nicht krank sein. Vielleicht sind Sie jedoch privat auf Grund von Trennung/Scheidung, Hausbau oder Pflege eines Familienmitglieds besonders belastet.
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Herzliche Grüße
Kerstin Neumann